Ebenso wie in Deutschland ist auch in Uruguay Wahlkampf-Zeit. Während sich die Wähler in Deutschland jedoch mehr und mehr fragen, wo bei den sogenannten „großen Parteien“ die gravierenden programmatischen Unterschiede zu finden sind, stehen hier in Uruguay zwei sehr konträre Alternativen zur Wahl.
Auf der einen Seite der aufgrund seiner Guerilla-Vergangenheit, seines Alters und vor allem seines saloppen Äußeren und seiner laxen Ausdrucksweise umstrittene Präsidentschaftskandidat der zur Zeit regierenden Linkskoalition „Frente Amplio“ (breite Front) José Mujica, genannt Pepe, auf der anderen der ehemalige Präsident der Republik, Luis Alberto Lacalle, der Kandidat der National-Partei. Feuer und Wasser – so könnte man es wohl wirklich ausdrücken – Uruguay, so scheint mir, steht vor einer historisch bedeutsamen Wahl.

José "Pepe" Mujica, Frente Amplio - Luis Alberto Lacalle, Partido Nacional
In unserem letzten Newsletter direkt nach den Vorwahlen Ende Juni haben wir den ersten der beiden Präsidentschaftskandidaten etwas ausführlicher vorgestellt:
Die lange vor der Wahl favorisierten Politiker, José Mujica für die regierende Linkkoalition Frente Amplio, Luis Alberto Lacalle für die Nationalpartei (Partido Nacional) und Pedro Bordaberry für den Partido Colorado sind als Präsidentschaftskandidaten gewählt worden, in dieser Hinsicht gab es also keine Überraschung. Anders jedoch sieht es bei der Stimmverteilung zwischen den Parteien selbst aus, die zwar keine direkte politische Auswirkung hat, aber doch als richtungsweisendes Signal für die Hauptwahlen im Oktober gesehen werden muss.
Man hatte seitens des Frente Amplio sicher nicht damit gerechnet, dass die Nationalpartei mit ihrem Kandidaten Luis Alberto Lacalle, der von 1990 bis 1995 bereits Präsident war, etwa 45 Prozent der Stimmen erhalten würde und damit ca. 5 % mehr, als die eigene Koalition. Alle Prognosen vor der Wahl gingen von genau umgekehrten Verhältnissen aus.
Das ist eine ziemlich schmerzende Ohrfeige für die Regierung und wird auch in den eigenen Reihen diejenigen bestärken, die den 74-jährigen ehemaligen Landwirtschaftsminister José Mujica für das Präsidentenamt ungeeignet halten, in erster Linie nicht einmal wegen seiner extrem linken politischen Ausrichtung, sondern aufgrund seiner oft ungepflegt wirkenden persönlichen Erscheinung und seines zuweilen mehr als hemdsärmeligen Auftretens in der Öffentlichkeit.
In Uruguay achtet man sehr darauf, wie sich das Land nach außen präsentiert, man legt Wert auf Traditionen und erwartet von den Vertretern des Landes ein entsprechend traditionelles Auftreten. Ein Präsident mit Dreitagebart, Sturmfrisur, schlabberigem Pullover und hängenden Hosen ist für die Mehrheit einfach undenkbar.
Der aktuelle Präsident, Tabaré Vázquez, der nach der uruguayischen Verfassung in direkter Folge kein zweites Mal gewählt werden kann, hinterlässt in den eigenen Reihen eine nicht zu schließende Lücke. Seine gemäßigt linke Ausrichtung war großen Teilen des Frente Amplio, vor allem natürlich den an der Koalition beteiligten Kommunisten von je her ein Dorn im Auge. Die insgesamt positive wirtschaftliche Entwicklung der letzten 5 Jahre verdankt das Land wohl in erster Linie der Politik und der starken Persönlichkeit von Tabaré Vázquez. Ein Präsident Mujica würde die extreme Linke des Frente Amplio stärken und der eher bürgerlichen Orientierung unter dem derzeitigen Präsidenten ein jähes Ende bereiten.
Das Ergebnis der Vorwahl ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Mehrheit der Bürger in einem solchen Linksruck eine Gefahr für den in den letzten Jahren gewachsenen Wohlstand sieht.
Keine Frage, José Mujica gehört zu den schillerndsten, aber auch kontroversesten politischen Persönlichkeiten Uruguays. Es gab in der Geschichte dieses Landes keinen anderen Präsidentschaftskandidaten, der die Gemüter so sehr bewegte. Es war sicher die einmalige Geschichte dieses Mannes, noch mehr aber wohl der Mangel an ernsthaften Alternativen, die dafür sorgten, dass er überhaupt zum Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde. Noch vor zwei Jahren wäre das vollkommen undenkbar gewesen, zumal José Mujica keinerlei Ambitionen zeigte, im Gegenteil.
José Alberto Mujica Cordano war 1962 einer der Begründer und Führer der berühmt berüchtigten „Tupamaros“, der Montivideaner Stadtguerilla MLN (Movimiento de Liberación Nacional – Bewegung zur nationalen Befreiung), die in ihrer Vorgehensweise mit Terroranschlägen und Entführungen hochrangiger Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft zum Vorbild der italienischen Roten Brigaden und der deutschen Roten Armee Fraktion, RAF wurde.
1972 wurde José Mujica ebenso wie die gesamte Führung der Tupamaros verhaftet. Unter unmenschlichen Bedingungen, er wurde mehrfach gefoltert, blieb er 13 Jahre lang inhaftiert. Erst mit der Amnestie des 1985 erlassenen „Gesetzes zur nationalen Befriedung“ (Ley de Pacificación Nacional) wurde er aus der Haft entlassen und begann seine beispiellose politische Karriere, die 2004 in der Berufung zum Landwirtschaftsminister und nun zum Präsidentschaftskandidaten gipfelte.